Paris Fashion Week Marode Mode

Models present creations by designer Matthew M. Williams as part of his Spring/Summer 2022 women's ready-to-wear collection show for fashion house Givenchy during Paris Fashion Week in Paris, France, October 3, 2021. REUTERS/Gonzalo Fuente TPX IMAGES OF THE DAY

Seit 2011 regiert Olivier Rousteing nun schon als Kreativdirektor beim Modelabel Balmain – und doch steht da am Ende dieser pompösen Schau ein schüchterner junger Mann auf der Bühne und lächelt verlegen. In den knapp 18 Minuten zuvor hatte er 71 Looks zeigen lassen, einer prachtvoller als der andere. Man sieht es den Teilen aus Kilometern an, dass die Marke das meiste Geld inzwischen in Asien und den USA einnimmt, so viele Kristalle und Goldelemente sind in ihnen verarbeitet. Weitere Balmain-typische Kennzeichen der Jubiläumskollektion: breite Schultern, Hüfthosen, Bandagen, Wickelkleider, viel Haut, viel Gold, grobklotziger Schmuck.

Das Zehnjährige wollte Rousteing mit einem besonderen Event feiern, einer Mischung aus Konzert und Modenschau für seine Balmain-Army. So nennt der Modedesigner die Gemeinschaft seiner Kunden und Fans. Statistisch betrachtet kommandiert der 36-Jährige die größte Armee der Welt: Allein bei Instagram folgen ihm mehr als sieben Millionen Menschen. Dass es so viele sind, liegt auch an seiner Offenheit im Umgang mit sozialen Medien. Von Anfang an präsentierte er die Marke auf allen möglichen Plattformen, gewährte ungewohnte Einblicke in die zwar nicht mehr ganz so verschlossene, aber immer noch elitäre Modewelt.

Balmain Frühjahrskollektion 2022

Rousteings Aufgeschlossenheit war für die Tugendwächter des 1945 von Pierre Balmain gegründeten Labels ebenso eine Herausforderung wie die gewagten Looks. Er machte Kim Kardashian zur Markenbotschafterin, als die meisten sie einfach nur vulgär fanden, weil sie damals hauptsächlich bekannt war für ein geleaktes Sexvideo. Für viele in der Welt der Pariser Mode war sie genauso unvorstellbar wie ein Schwarzer an der Spitze eines Pariser Modehauses. Nun schloss für diesen Wegbereiter Frankreichs ehemalige First Lady Carla Bruni die Schau, die auch live statt nur im Internet zeigen sollte, was endlich wieder möglich ist. Deren Mann, Nicolas Sarkozy, wurde jüngst erneut zu einer Haftstrafe verurteilt. Auch das wäre früher undenkbar gewesen.

Es erfordert auch einiges an Gehirnschmalz, um zu begreifen, wie Matthew Williams mit Givenchy einen so bemerkenswerten Abstieg hinlegen konnte, seit er die Nachfolge von Claire Waight Keller angetreten ist. Vielleicht sollte diese Kollektion aber auch ganz besonders schrecklich sein: Da waren Kürbisköpfe als Handtaschen, Halloween-Masken mit Fetischnote als Kopfbedeckung und – nicht lustig – Galgenstricke als Halsschmuck. Dazu viel Schwarz, keine klare Linie, mit Spitze versetzte Schürzen, Hosen in Straps-Optik, und etliche ungesäuberte Nähte. Nein, was Matthew Williams mit Givenchy veranstaltet, ist nicht wirklich sehens-, geschweige denn erstrebenswert.

Es dürfte wenige Frauen geben, die sich im Jahr 2021 in hüfthohen Stiefeln unter knappsten Röckchen sehen, über deren Bund der Tanga hervorblitzt. Eine Vorstellung von Sex-Appeal, die sich interessanterweise in Williams’ Herrenkleidung nicht wiederfindet. Sie ist mit ihren vielen Taschen weiterhin von militärischen Elementen geprägt. Das Höchste der Gefühle sind da schon knallbunte Farben und grobe Schmuckstücke. Vom Hochzeitskleid für das Königshaus zur aufgesexten Kleidung für die Dienstmagd in nur drei Saisons – das muss ihm erst mal einer nachmachen.

Das gilt auch für Demna Gvasalia. Allerdings hat der mal wieder bewiesen, dass er es einfach drauf und deswegen einen Lauf hat: Das Publikum seiner Balenciaga-Modenschau bestellte er für eine Filmvorführung ins Théâtre du Châtelet. Dort konnte es dann auf einer Leinwand beobachten, wie draußen weitere Gäste eintrudelten. Schnell war klar, das sind keine Gäste, sondern die Models. Oder waren es doch Gäste?

Formel-1-Champion Lewis Hamilton posierte in Balenciaga, Naomi Campbell, Rapperin Cardi B, Ella Emhoff, die Stieftochter der US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die Berliner Kunstsammlerin Karen Boros, Schauspieler und Transaktivist Elliot Page. Dazu gesellte sich der unverkennbare Anti-Model-Cast aus bisher jeder Gvasalia-Show. Nach und nach stapften sie in den Zuschauersaal und nahmen Platz zwischen den Anwesenden. Eine gelungene Inszenierung, bei der das Publikum Teil der Kulisse wurde und das Wort Livestreaming eine ganz neue Bedeutung erfuhr.

»Vogue«-Überchefin Anna Wintour war gleich zweimal zu sehen – auf dem roten Teppich und im Kurzfilm »The Simpsons for Balenciaga«. Die Meta-Inszenierung war nämlich nur die Ouvertüre. Den Simpsons/Balenciaga-Clip zum Schluss hätte es aber gar nicht mehr gebraucht. Vielleicht war der Zeichentrickfilm, in dem Homer auf gewohnt unbeholfene Art seiner Marge den Wunsch nach einem Balenciaga-Kleid erfüllt, aber auch nur der Plan B für den Fall der Fälle.

Die Mode an sich war dann das typische Gvasalia-Balenciaga: aufgeblasene Roben, zerschlissene Baggy-Jeans, mit Kristallen beklebte Gummicrogs, überdimensionierte Blazer, aber auch elegant in die Länge gezogene Slipper, Bomberjacken und Bodysuits. Das meiste davon ist schwarz. Balenciaga zu tragen, erfordert trotzdem definitiv weiterhin Mut – und viel Geld, wie auch (so viel sei verraten) Homer Simpson lernen musste.

Kundinnen von Chanel haben es da leichter. Teuer wird es zwar auch hier, aber das viele Schwarz von Virginie Viard ist elegantes Nachtschwarz, nicht das extreme Berghain-Rave-Schwarz wie bei Balenciaga. Auffällig jedoch, dass auch auf dem Chanel-Laufsteg die Schlüpfer aus den Hosen lugen. Allerdings nur bei einem Outfit. Der Rest ist brav zugeknöpft. Viel Haut wird nur am Strand gezeigt mit Badeanzügen in Weiß oder Gold und mit schwarzer Einfassung. Außerdem im Angebot: Denim-Anzüge, kurze Kleider, groß bedruckte Sommerkleider, bunt karierte Kostüme mit Goldknöpfen, Schmetterlingsflügel auf schwarzer Chiffonseide, flache Sandalen und natürlich die klassischen Schnallenschuhe. »Ich habe gern immer etwas Romantisches«, sagte Chanel-Designerin Viard hinterher über ihre Mode. Andere würden vielleicht sagen, langweilig.