Form follows Frauen

Charlotte Perriand sur la chaise longue Le Corbusier, Jeanneret, Perriand, 1928. DR/AChP. Source : Archives Charlotte Perriand ©ADAGP-AChP 2006.

Natürlich gibt es in der Designgeschichte nicht nur Helden, sondern auch Heldinnen, es kennt sie nur fast niemand. Charlotte Perriand oder Eileen Gray als Vertreterinnen der klassischen Moderne sind vielleicht noch manchen ein Begriff, oder Grete Jalk und Nanna Ditzel, die wertvolle Impulse für das skandinavische Möbeldesign in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lieferten. Viel mehr fallen einem aber nicht ein, denn auch die Geschichte dieses Fachs wurde erzählt als einzig von Männern geprägt

Inzwischen haben es die Frauen leichter. Die Hälfte der Designstudierenden sind weiblich, die Hindernisse von vor 100 Jahren größtenteils aus dem Weg geräumt. Frauen sind in vielen zukunftsweisenden Designbereichen federführend. Groß gewürdigt wurde weibliches Design aber bislang nicht. Die Ausstellung »Here We Are! – Frauen im Design 1900 – heute« im Vitra Design Museum in Weil am Rhein soll nun aufzeigen, welchen Einfluss weibliches Design hat.

»Here We Are« bietet einen ersten Überblick, knüpft Verbindungen, stellt Dinge richtig und räumt die Bühne frei für einige zu Unrecht Vergessene. Das Ausstellungskonzept beginnt mit der Frauenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts und endet in der Zukunft. Die Coronapandemie war dabei für die Kuratorinnen Viviane Stappmanns, Nina Steinmüller und Susanne Graner eine Chance: Anstatt sich vor allem im Ausland auf die Suche nach geeigneten Exponaten zu machen, durchforsteten sie den immerhin 20.000 Objekte umfassenden Fundus des eigenen Hauses. Ein paar Exponate kamen aus Museen oder Archiven aus der näheren Umgebung dazu. Wir zeigen einige Beispiele.

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Selbermachen als Gegenentwurf zum passiven Konsum: eine Idee, die in der Designgeschichte sehr beliebt ist. Genannt werden dabei aber immer die gleichen Möbel, etwa jene, die der Italiener Enzo Mari 1974 in seinem Buch »Autoprogettazione?« vorstellte oder, älter, die Entwürfe des Niederländers Gerrit Rietveld. Dabei war eine Frau Pionierin auf diesem Gebiet: Louise Brigham veröffentlichte bereits 1909 ein Buch mit dem Titel »Box Furniture: How to Make a Hundred Useful Articles for the Home«. Die US-Amerikanerin wollte damit dem Teil der Bevölkerung helfen, der sich die fertigen Möbel in den Warenhäusern nicht leisten konnte. Heute würde man so etwas Social Design nennen.

Die Loheland-Werkstätten

Es ist eines der schönsten Beispiele weiblicher Selbstermächtigung: 1919 wurde in der Rhön nahe Fulda mit der Schulsiedlung Loheland ein Frauenprojekt gegründet, in dem anthroposophische Reformpädagogik auf biologisch-dynamische Landwirtschaft und modernes Kunstgewerbe traf. Die beiden Gründerinnen der »Lohelandschule für Gymnastik, Landbau und Handwerk«, Louise Langgaard und Hedwig von Rohden, schufen damit eine Art Paralleluniversum zum Bauhaus – und inspirierten die Kolleginnen und Kollegen dort. Betrachtet man etwa fotografische Loheland-Arbeiten wie den »Sprung«, fällt sofort die Nähe zu den weitaus bekannteren Bildern von László Moholy-Nagy auf. Dass der Bauhaus-Lehrer von den Loheland-Frauen beeinflusst war, gilt heute als verbrieft.

Lilly Reich
Es ist ein Klassiker der Moderne: Von seinem Hersteller Knoll wird das »Barcelona Daybed« (Neupreis heute ab 10.000 Euro) immer noch Ludwig Mies van der Rohe zugeschrieben, dessen Mitarbeiterin Lilly Reich wird in Möbelkatalogen nur im Nachsatz erwähnt – wenn überhaupt. Zwar stand die berühmte Liege in der Tat in einer Musterwohnung, die Mies van der Rohe für die Deutsche Bauaustellung 1931 in Berlin ausgestattet hatte. Doch auch Reich zeigte dort ihre Arbeiten; zeitgenössische Publikationen belegen, dass der Entwurf auf sie zurückgeht.

Ohnehin lohnt sich eine nähere Beschäftigung mit der Designerin: Sie war nicht nur an vielen Entwürfen van der Rohes maßgeblich beteiligt, sondern bereits mit einem eigenen Studio erfolgreich, bevor sie den späteren Bauhaus-Direktor 1927 kennenlernte und anfing, mit ihm zusammenzuarbeiten. Zudem wurde sie 1920 als erste Frau in den Vorstand des Deutschen Werkbunds aufgenommen. Während van der Rohe in die USA emigrierte, blieb sie in Deutschland und arbeitete die letzten beiden Jahre bis zu ihrem Tod 1947 für die Berliner Hochschule der Bildenden Künste.

Galina Balaschowa

Alles ist bekanntermaßen Design – auch eine Raumstation. Einer der erhellendsten Seitenstränge in der Ausstellung ist die Geschichte Galina Balaschowas. Die war zwar Gestalterin, wurde aber in den Lohnbüchern des sowjetischen Kosmonautenprogramms lange unter ganz anderen Berufsbezeichnungen geführt, etwa als Sicherheitskraft. Der Grund: Selbst im scheinbar progressiven Sozialismus war zumindest Anfang der Sechzigerjahre die Rolle einer Frau, die sich um die Gestaltung orbitaler Wohnabteile in Raumschiffen kümmerte, nicht vorgesehen. Da zudem solche Interieurs eher selten in Wohnzeitschriften auftauchen, blieben die Arbeiten der russischen Architektin lange Jahre unbekannt. Dabei ging Balaschowas Schaffen weit über den klassischen Designbegriff hinaus: Ihr Aufgabenbereich umfasste auch die Toilettensysteme und die Fixierung der schlafenden Astronauten. Weiterentwicklungen ihrer Arbeit finden sich auch heute noch in der Raumstation ISS.

Faye Toogood

Die meisten Menschen leben aber auf der Erde, und mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen. Daher stellt sich die Frage, ob aktuelle Möbel diese Weiblichkeit reflektieren. Oder hat der Möbelmarkt meist noch Männer im Blick, schlichtweg, weil die Entscheider in den Chefetagen der Hersteller meistens welche sind? Der »Roly Poly«-Sessel von Faye Toogood (geboren 1977) ist ein Exponat, in dem Design und Weiblichkeit tatsächlich sehr praktisch zusammenhängen. Die Britin entwickelte das Polyethylen-Stück aus einer eigenen Not heraus: Während ihrer Schwangerschaft hatte sie keinen Sessel gefunden, mit dem sie vollauf zufrieden war.