Homeschooling und Homeoffice, finanzielle Sorgen und zu kleine Wohnungen – die Belastungen während des Lockdowns waren für Familien besonders hoch. Doch auch ohne Coronapandemie sind für manche Eltern die Alltagsbelastungen kaum zu bewältigen.
Deshalb wurden beim Social Design Award, den SPIEGEL WISSEN mit Unterstützung des Fachmarkts Bauhaus zum achten Mal ausgeschrieben hat, gute Ideen für starke Familien gesucht. Vereine und öffentliche Institutionen haben ihre Projekte eingesandt, aber auch viele Eltern, die Ideen entwickelt haben, um den Familienalltag leichter zu machen oder Kinder besser zu unterstützen.
Aus den rund 130 nationalen und internationalen Einsendungen hat die Jury die besten zehn für die Shortlist ausgewählt. Und über diese Shortlist können Sie nun abstimmen: Wählen Sie Ihren Favoriten für den Publikumspreis! Dieser ist, wie der Jurypreis, mit 2500 Euro dotiert.
Zu den Nominierten
Dance together
Auf einer Wiese vor einer Hochhaussiedlung tanzen Mütter und Großmütter mit Tochter oder Enkelin, beide immer gleich gekleidet. Zur Musikbegleitung schreiten, wirbeln, hüpfen, greifen sie nach dem Himmel, wickeln sich in Tücher, umarmen sich. Der Film zu diesem Auftritt ist das Ergebnis des Bremer Projekts »Dance together«, bei dem vier generationenübergreifende Paare einige Monate lang miteinander eine Choreografie einübten. Begleitet wurden die Tänzerinnen dabei von zwei Tanzpädagoginnen. Zu tanzen wird von den Initiatorinnen vor allem als Begegnung verstanden: »Wie kann ich meinem Gegenüber begegnen, aufmerksam sein, zuhören, ihm Raum geben, ihn spiegeln? All dies haben wir über das Tanzen in Improvisationen und Aufgaben erforscht. Das Projekt macht also die Teilnehmerinnen selbst zum Thema – ihre Geschichten, ihre Erfahrungen waren Ausgangspunkt für die Arbeit.« Ins Leben gerufen und umgesetzt wurde »Dance together« vom Bremer Kulturunternehmen Quartier in Kooperation mit einer Kita.
Ein Garten zum Wurzelnfassen
Acht Wohnungslose ziehen in ein abbruchreifes Haus in Freiburg ein. Die Stadt Freiburg hat es ihnen zugewiesen. Das Haus hat einen heruntergekommenen Garten, und hier beginnt eines Tages einer der Wohnungslosen – ein zweifacher Familienvater aus dem Senegal –, Gemüse zu pflanzen. Aus seiner Initiative wird nach und nach ein Gartenprojekt, das nicht nur die Hausbewohner zusammenbringt, sondern das auch der Anfang des Kontakts zur Nachbarschaft ist. Zudem entsteht ein Ort, an dem der Familienvater seine Kinder und deren Mutter treffen und gemeinsam mit ihnen gärtnern kann. Dieses Projekt gibt der Hausgemeinschaft Stabilität und dem Initiator die Erfahrung von Selbstwirksamkeit: Er hat mit seinem Gartenprojekt etwas verändert.
Familienhörbuch
Welche Erinnerungen bleiben jungen Kindern, wenn ein Elternteil stirbt? Was werden sie noch im Gedächtnis haben von dem, was Mutter oder Vater ihnen erzählt haben? Werden sie noch wissen, wie die Stimme klang? Die Kölner Journalistin Judith Grümmer hat 2017 das »Familienhörbuch« gegründet, eine seit 2019 gemeinnützige Organisation. Diese finanziert professionelle Hörbücher, die sterbenskranke Eltern aufnehmen und ihren Kindern hinterlassen. Darin erzählen sie Geschichten über das Leben, über die Familie, Anekdoten, Schönes oder auch Peinliches, sie schildern Erfahrungen und geben ihre Erinnerungen weiter – wie der Untertitel sagt: »Alles, was eine Stimme hat, überlebt.« Dies soll den Kindern dabei helfen, das Trauma des Verlusts eines Elternteils zu bewältigen. Zehn bis zwölf Stunden ist so ein Hörbuch lang, dahinter stecken rund hundert Arbeitsstunden und 5000 bis 6000 Euro Kosten, die aus Spenden finanziert werden. Das Projekt wird von der Uniklinik Bonn wissenschaftlich begleitet. Ziel ist, das Familienhörbuch bundesweit anzubieten.
Familienkochbox Bärenhunger
Mit den Schulschließungen während der Coronapandemie fiel nicht nur für Kinder das Mittagessen weg, auch vielen finanziell knappen Eltern fehlte der Zuschuss von der Sozialbehörde. Deshalb rief der Landkreis Saarlouis die Familienkochbox »Bärenhunger« ins Leben, die von Sponsoren finanziell unterstützt wurde. Insgesamt 250 Familien wurde eine Box mit Rezepten und den Zutaten dafür ins Haus geliefert, Videos zeigten, wie man die Rezepte umsetzt. Die Aktion sollte den Familien gleichzeitig gesunde Ernährung näherbringen und über das Kochen auch die Familie ermuntern, etwas gemeinsam zu tun. Zudem gab es einen Wettbewerb für das kreativste Kochvideo. Das Projekt wurde so gut angenommen, dass es inzwischen um die Themen Bewegung und Entspannung ergänzt wurde, außerdem will der Kreistag es langfristig unterstützen.
Family Playbox
Familie »ist ein sich ständig entwickelndes Langzeitprojekt, zu dem wir alle beitragen. Leichtigkeit ist dabei nicht das eine Ziel, das wir anstreben, es ist der gemeinsame Weg, für den wir uns immer wieder entscheiden. In vielen kleinen Schritten, Tag für Tag. Manchmal läuft’s – dann wieder überhaupt nicht«. Diese Idee steht hinter der »Family Playbox«. Sie soll dabei helfen, diesen gemeinsamen Weg zu finden. Sie wurde als spielerische Alternative zu Ratgeberbüchern entwickelt von einer Hamburger Designerin, die selbst Mutter von zwei Kindern ist und auch als Coach arbeitet. Die Box gibt es bisher nur als Prototyp. Der »Werkzeugkasten für mehr Leichtigkeit im Familienalltag« enthält Karten mit Anleitungen, um Konflikte zu lösen, besser zu kommunizieren, gemeinsam zu entscheiden, den Haushalt gemeinsam zu erledigen und sich als Familie neu zu entdecken.
Lagerkoller
Als plötzlich während des ersten Corona-Lockdowns die Kitas schlossen, da fragten sich zwei Hamburger Väter, wie sie mit ihren Kindern einen interessanten, abwechslungsreichen Tag gestalten könnten. Sie kamen auf die Idee einer App, bei der Eltern ihre besten Spiele oder Bastelideen einstellen und mit anderen teilen könnten. Mithilfe von Software-Entwicklern wurde aus dieser Idee die kostenlose App »Lagerkoller«. Eine Kugelbahn aus Küchenpapier-Rollen, Indoor-Basketball oder ein Fußboden-Stadtplan aus Klebestreifen – diese und etwa 400 weitere Ideen versammeln sich in der App. Inzwischen wurde sie auch erweitert um Urlaubsberichte, der Lockdown ist ja zum Glück vorbei.
Mini-Bikepark
Dauernd drinnen hocken beim Homeschooling, und wenn man die Aufgaben erledigt hat, immer nur mit dem Fahrrad auf der Straße zwischen Einfamilienhäusern hin und her fahren? Langweilig! Und so begann eine Gruppe von 10- bis 15-Jährigen im Baden-Württembergischen Freiberg, auf einem freien 600-Quadratmeter-Grundstück einen Mini-Bikepark zu bauen. Sie schaufelten Schanzen auf, nagelten aus Balken und Brettern Balancierbahnen, entwarfen Sprünge. Das gemeinsame Projekt führte auch zu neuen Freundschaften nicht nur zwischen den Kindern, sondern auch zwischen den Eltern. Ein Vater pachtete das Gelände schließlich, sodass die Kinder und Jugendlichen ihren Mini-Bikepark weiterhin nutzen und erweitern können.
Poesiewerkstatt PoeDU
PoeSIE ist für Erwachsene – und PoeDU für Kinder, genauer gesagt, eine virtuelle Poesiewerkstatt für Kinder. Sie entstand in Berlin während des ersten Lockdowns, als Projekt für ein Kind. Daraus wurde eine Facebook-Gruppe, in der Dichterinnen und Dichter Kindern eine Aufgabe stellen. In einer geschlossenen Gruppe können die Kinder dann untereinander ihre Lyrik vorstellen, Fotos hochladen und schließlich die Texte auf Facebook veröffentlichen. Aber einige Werke fanden auch in Literaturmagazine Eingang. Inzwischen gibt es einen Gedichtband, ein Gedicht-Kartenspiel und eine lange Liste von Kooperationspartnern wie zum Beispiel verschiedene Literaturhäuser. Die Werkstatt kann auch von Schulen und Kitas gebucht werden.
Wunschgroßeltern-Vermittlung
Die Kinder vieler Menschen über 50 sind ausgezogen. Der Wunsch, die eigenen Erfahrungen weiterzuvermitteln, die Sehnsucht, gebraucht zu werden, aber ist geblieben. Andere Menschen haben noch Kinder zu Hause, aber sind mit so viel Arbeit belastet, dass ihnen für ihre Töchter und Söhne oft Zeit fehlt. Deshalb entstand im »Mütterzentrum Braunschweig e.V. Mehrgenerationenhaus« vor 15 Jahren die Idee, eine Wunschgroßelternvermittlung zu gründen. Und seitdem finden Kinder aus gut situierten wie aus finanziell benachteiligten Familien neue »Großeltern«, die Zeit für sie haben und daher oft gelassener sind als die gestressten Eltern. Es ist eine Win-win-Situation für alle. 81 Wunschgroßeltern haben durch die Vermittlung des »Mütterzentrums Braunschweig e.V. Mehrgenerationenhaus« Familien gefunden, die Hilfe und Begleitung brauchen.
Yoga für Grundschulkinder
Der herabschauende Hund, die Baby-Kobra oder der friedliche Krieger: Wer sich in diese und alle anderen Yogaposen begibt, kann den Körper dehnen und stärken und dabei zu sich selbst, zu einem positiven Körperbild und zur eigenen Mitte finden. Das funktioniert nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern im Grundschulalter. Das Projekt »Prävention im Grundschulalter« des Hamburger Vereins »Yoga für alle« bietet daher gerade in Problemquartieren Kindern die Möglichkeit, über Bewegung und Meditation eine gute Beziehung zum eigenen Körper und Selbstvertrauen zu entwickeln. Ein positives Körperbild wirkt auch als Vorbeugung gegen Essstörungen. »Prävention im Grundschulalter« wird wissenschaftlich vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf begleitet.