
Fluggäste haben in der Regel auch dann ein Anrecht auf Entschädigung, wenn ihre Verbindung wegen eines Streiks des Kabinenpersonals gestrichen wurde. Ausnahmen gibt es nur in begrenzten Einzelfällen, wie aus einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil des Europäischen Gerichtshofs hervorgeht.
Geklagt hatte ein Fluggast, dessen Reise von Salzburg nach Berlin aufgrund eines Streiks der Eurowings-Crew gestrichen worden war. Er hatte vor dem Landesgericht Salzburg eine Entschädigung von 250 Euro gefordert.
Eurowings hatte argumentiert, dass die eigene Belegschaft aus Solidarität mit Angestellten der Muttergesellschaft Lufthansa gestreikt hatte und dies als »außergewöhnlicher Umstand« anzusehen sei. Dies hätte die Fluggesellschaft von Entschädigungsverpflichtungen bei einer Flugannullierung befreien können.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sah darin aber keinen »außergewöhnlichen Umstand«. Wenn die Gewerkschaft einer Muttergesellschaft zum Streik aufrufe, sei vorhersehbar, dass sich die Beschäftigten anderer Konzernteile aus Solidarität anschlössen, erklärte der EuGH. Es habe sich nicht um ein unvorhersehbares oder nicht beherrschbares Ereignis gehandelt. Der Arbeitgeber verfüge grundsätzlich über die Mittel, sich auf Streiks vorzubereiten und die Folgen gegebenenfalls abzufangen.
Grundsätzlich haben Reisende nach EU-Recht die Möglichkeit, bei kurzen Flügen bis zu 250 Euro einzufordern, wenn ihre Verbindung gestrichen und keine angemessene Alternative angeboten wird. Das gilt für Flüge unter 1500 Kilometer, bei längeren Strecken steigt die Entschädigungshöhe.
Es gibt jedoch einige Ausnahmen, beispielsweise wenn Fluggäste mindestens zwei Wochen vorher informiert werden oder wenn ein – wie nach Ansicht von Eurowings in diesem Fall vorliegender – »außergewöhnlicher Umstand« vorliegt. Dies ist laut der entsprechenden EU-Verordnung dann der Fall, wenn sich die Umstände für die Annullierung »auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären«.
Bereits im März fällt EuGH ähnliches Urteil
Eurowings teilte mit, man nehme »bedauernd zur Kenntnis, dass der Europäische Gerichtshof in seinem heutigen Urteil nicht unserer Auffassung gefolgt ist«. Die Urteilsbegründung werde man genau analysieren. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) vertritt die Auffassung, dass das Urteil nicht klarstelle, dass ein Streik unter keinen Umständen ein außergewöhnlicher Umstand sein kann. Der Verband forderte, dass die EU-Fluggastrechte-Verordnung insofern geändert werden solle, dass Streiks als außergewöhnliche Umstände gelten.
Politiker von Grünen und der Linken begrüßten die Gerichtsentscheidung. Der Europaparlamentarier Rasmus Andresen (Grüne) kritisierte jedoch, dass der Streit überhaupt vor Gericht geklärt werden musste. »Wir sehen es immer wieder, dass sich Fluggesellschaften davor drücken, geltendes Recht umzusetzen.« Linkenpolitiker Jörg Cezanne sieht mit dem Urteil auch die Rechte von Arbeitenden gestärkt, die nun ihren Forderungen bei Streik mehr Nachdruck verleihen könnten.
Ähnlich wie nun hatte der EuGH bereits im März geurteilt. Damals hieß es, eine Fluggesellschaft könne nicht argumentieren, dass ein Streik ein außergewöhnlicher Umstand sei, insbesondere wenn dieser sich an geltendes Recht halte. Wenn sich der Arbeitskampf darauf beschränke, etwa Gehaltserhöhungen oder bessere Arbeitszeiten durchzusetzen, sei dieser »Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens« (Rechtssache C-28/20).
Hintergrund war damals ein Streit aus Skandinavien. Auch in diesem Fall wollte ein Reisender einen Ausgleich in Höhe von 250 Euro, weil ein für April 2019 geplanter Flug von Malmö nach Stockholm am selben Tag wegen eines Pilotenstreiks in Norwegen, Schweden und Dänemark annulliert wurde. Wegen der mehrtägigen Arbeitsniederlegung waren EuGH-Angaben zufolge mehr als 4000 Flüge gestrichen worden, wovon knapp 400.000 Gäste betroffen gewesen seien.