Auf einmal reden sie wieder vom Titel

epa09519216 Germany's goalkeeper Manuel Neuer celebrates the 0-3 during the FIFA World Cup 2022 qualifying soccer match between North Macedonia and Germany in Skopje, Republic of North Macedonia 11 October 2021. EPA/VALDRIN XHEMAJ

Mit der Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Katar hat die deutsche Nationalmannschaft die Pflicht frühzeitig erfüllt, die noch ausstehenden Gruppenspiele, Mitte November gegen Liechtenstein in Wolfsburg sowie das Spiel in Armenien ein paar Tage später, haben damit an Bedeutung verloren. Es soll in der Vergangenheit Nationalspieler gegeben haben, auch hochdekorierte, bei denen zu solchen Anlässen muskuläre Probleme oder auch Reizungen der Patellasehne auftraten. Als wären solche Länderspiele lästig.

Titel »realistisch« – nach Siegen gegen Liechtenstein und Nordmazedonien
Dass der Titel »realistisch« sei, hatte Neuer, 35, schon vorher behauptet, und daher trauten sich vermutlich auch die deutlich jüngeren Spieler aus der Deckung. Kai Havertz etwa, 22, sagte bei RTL: »Wenn wir für Deutschland spielen, ist das Ziel immer, Titel zu gewinnen, das höchstmögliche Ziel zu erreichen. Deswegen werden wir dort so anreisen.«

Nun hat die Eliteauswahl des DFB unter dem neuen Bundestrainer Hansi Flick 15 von 15 möglichen Punkten geholt, dabei 18 Tore geschossen und nur eines kassiert. Aber die Gegner waren auch aus der zweiten und dritten Kategorie, daher überrascht der forsche Ton ein wenig, zumal bei Flicks Vorstellung noch demütig darauf hingewiesen wurde, dass der Weg zurück an die Weltspitze das Ziel sei. Und den Titel holen – das wollte Neuer auch schon bei der WM 2018 und der EM im vergangenen Sommer. Stattdessen scheiterte die Mannschaft in der Vorrunde beziehungsweise im Achtelfinale.

Nach dem Spiel in Skopje klang es teilweise so, als sei die Strecke bewältigt und als sei der neue Guide dafür verantwortlich, und zwar nur er. Flick, so scheint es, hat seine kommunikativen Fähigkeiten und seine Begabung, zu motivieren, nahtlos vom FC Bayern zur DFB-Auswahl übertragen.

»Wilde« erste Hälfte
Allerdings erlaubten sich Spieler des FC Chelsea, Bayern München und von Paris Saint-Germain auch gegen Nordmazedonien Fehler, die ein stärkerer Gegner vermutlich ausgenutzt hätte. In der ersten Hälfte war es »wild«, wie Flick sagte, es gab viele Fehlpässe und zeitweise ein Defensivverhalten, das auf die Schwächen des Kontrahenten baute.

Als der Bundestrainer auf diese Momente angesprochen wurde, antwortete er, dass »gegen Topteams noch mal eine andere Motivation« vorhanden sei. Wobei es in den vergangenen Jahren selten geschah, dass die deutsche Nationalmannschaft mit entsprechender Motivation gegen ein Topteam gewann. Aber, so Flick: »Mit dieser Mentalität ist einiges machbar.«

Reiz des Neuen unter Flick
Der Effekt, den sich der DFB mit der Verpflichtung erhoffte, ist eingetreten. Möglicherweise strahlt der Trainer etwas zu hell, vor allem im Vergleich zu seinem Vorgänger Joachim Löw, der in den letzten Jahren seiner lange so erfolgreichen Amtszeit die dunklen Wolken über der Auswahl nicht mehr vertreiben konnte.

Flick nutzt den Reiz des Neuen erfolgreich aus. Er hat der Mannschaft den Glauben wiedergegeben, dass sie stärker ist als die meisten anderen auf dieser Welt und zumindest so stark wie die übrig gebliebenen. Die Vergleiche mit Italien, Spanien, Frankreich, Brasilien, den großen Nationen also, hat es aber noch nicht gegeben. Liechtenstein, Armenien, Island, Rumänien und Nordmazedonien sind die Gegner, hinter die Flick einen Haken machen kann.

Die Qualifikation zur WM ist damit geschafft, das Grundvertrauen der deutschen Fußballfans, das Löw schon vor dem Beginn der Europameisterschaft im vergangenen Sommer verloren hatte, gewonnen. Die Lust auf die Nationalmannschaft scheint zurück zu sein. Sogar im tristen November, gegen Liechtenstein in Wolfsburg und bei Kälte in Eriwan.